Robot Recruiting – Können Computer Menschen einstellen?

Werden HR-Mitarbeiter durch Robot Recruiting in der digitalisierten Arbeitswelt überflüssig? Als Personalberaterin betrifft mich diese Frage direkt. Aber ich interessiere mich für die Digitalisierung ganz allgemein, ich will verstehen, wie künstliche Intelligenz überhaupt funktioniert. Was ich in Gesprächen mit KI-Experten erfahren konnte, habe ich hier zusammengetragen.

 

Wie entsteht KI eigentlich?

Genau wie wir Menschen bauen Roboter Wissen durch Lernen auf. Ach ja – wenn ich hier von Robotern schreibe, könnte ich genausogut von Computern reden. Denn Roboter sind eigentlich nichts anderes als Computer mit Gelenken, völlig unwissenschaftlich ausgedrückt. Ich bleibe einfach bei dem Begriff Roboter, weil es hier um Robot Recruiting, gehen soll. Also, zurück zum eigentlichen Thema: Wissenschaftler trainieren Robotern das notwendige Wissen an. Dieses Training ist nichts anderes als das Programmieren von Algorithmen, die im „Hirn“ des Roboters landen. Irgendwann entsteht so eine Basis, die der Roboter selbst erweitern kann. Er verknüpft vorhandene Informationen zu neuen Informationen. Dass hier und da dieser Wissensaufbau seltsame Auswüchse haben kann, soll uns für heute egal sein. KI-Experten können dazu abendfüllende Geschichten erzählen. Wenn Sie die Gelegenheit haben, einen solchen zu fragen, nur zu!

 

Was kann KI heute schon leisten?

Kausalketten sind die Domäne der IT. Wenn sich etwas in Wenn-Dann-Logiken beschreiben lässt, liefert uns die IT gute Lösungen. Ob es um CRM-Tools, Navigationssysteme oder Textverarbeitungsprogramme geht, ihre Nützlichkeit beruht in erster Linie auf gut zugeschnittenen Wenn-Dann-Logiken. Die Künstliche Intelligenz geht einen Schritt weiter. Sie kann aus eigener Kraft ihren Fundus an Wissen um neue Kausalzusammenhänge ergänzen. Überall dort, wo Entscheidungen auf einer sachlich hinreichend vollständig beschreibbaren Basis fallen, lässt sich KI einsetzen. Vielleicht drängt sich Ihnen jetzt die Frage auf, was „sachlich hinreichend vollständig beschreibbar“ bedeutet. Mir ging es an dieser Stelle jedenfalls so. Aber für den Moment wollen wir es dabei belassen. Denn der Nervenkitzel der Ausgangsfrage liegt woanders.

 

KI und Recruiting – geht das zusammen?

Es gibt bereits Produkte am Markt, die beides zusammenbringen. Fragt man die Hersteller von Robot Recruiting-Lösungen, lautet die Antwort ganz klar Ja. Man könnte den Herstellern unterstellen, aus Marketing-Gründen eine Abkürzung bei der Ursachenforschung genommen zu haben. Oder selbst ein wenig grübeln. Weil Recruiting nun mal mein Thema ist, habe ich mich für das zweite entschieden. Also:

 

Kann Robot Recruiting die fachliche Passung ermitteln?

Das Anforderungsprofil einer Vakanz lässt sich in einzelne Bausteine zerlegen. Diese einzelnen Anforderungen lassen sich dann wiederum gut auf das Profil eines Bewerbers anwenden: Ausbildungsabschluss, Branchenerfahrung, Sprachkenntnisse, Entwicklungsweg seit Ausbildungsende sind nur ein paar Beispiele. Als externer Recruiter erlebt man hin und wieder, dass einzelne Details – wichtige, aber aus Sicht des Unternehmens ziemlich selbstverständliche – nicht im Anforderungskatalog der Stellenbeschreibung erscheinen. Und das, obwohl sie für die Passung wesentlich sind. Im Innenverhältnis des Unternehmens ist das oft kein Problem, da „sowieso“ auf sie geachtet wird. Die Qualität der Bewertung durch einen externen Recruiter leidet dagegen, wenn ihm solche Informationen fehlen. Wer seinen Auftraggeber gut kennt, der kann Lücken dieser Art früh genug ausgleichen. Aber kann Robot Recruiting das auch? Fällt dieses Informationsdefizit in die Kategorie der sachlich hinreichend vollständigen Beschreibbarkeit?  Die Antwort meiner KI-Gesprächspartner klang eher nach einem Nein als einem sicheren Ja.         

 

Kann Robot Recruiting die menschliche Passung ermitteln?

Ob ein Bewerber dem menschlichen Anforderungsprofil einer Position gerecht werden kann, ist noch ein ganzes Stück komplizierter. Ein erfahrener Recruiter weiß, dass Motivation, Teamfähigkeit und Lernbereitschaft keine bewerberspezifischen Eigenschaften sind. Zwar reklamiert jeder Bewerber diese Eigenschaften für sich, was auch irgendwie zutrifft. Aber ihre Ausprägung wird vor allem durch die Kongruenz mit der Arbeitsumgebung bestimmt. Dieser Punkt lässt sich nur erfassen, wenn man den Bewerber frühzeitig mit der Wertewelt der Arbeitsumgebung konfrontiert. Das ist aufwändig, aber es lohnt sich. Wir gehen diesen Weg seit Jahren, unsere Besetzungen profitieren davon. Andererseits lässt sich das kaum über Kausalketten abbilden, denn der Erfolg beruht zu einem großen Teil auf der Technik des Design Thinkings. Ein Dreijähriger hat mich mal durch die Frage beeindruckt, woher die Uhr denn wisse, wie spät es ist. Kann KI solche Geistesblitze hervorbringen? Mir schwant, dass ein Gutteil solcher Geistesblitze auf unserer menschlichen Sozialisation beruht. Wenn wir die Persona eines Wunschkandidaten zusammensetzen, fließt jedenfalls ein Gutteil an Erfahrung über das menschliche Wesen ein. Dass sich das für einen Anwendungsfall wesentliche Geflecht des Sozialisationsprozesses sachlich hinreichend vollständig beschreiben ließe, halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Meine KI-Gesprächspartner haben keine Anstalten gemacht, diesen Punkt zu entkräften.

 

Robot Recruiting und die Jobs in einer digitalisierten Welt 

In der digitalisierten Welt dreht sich alles um den Kunden. Erfolg entsteht also in erster Linie im zwischenmenschlichen Kommunizieren und Handeln. Fachkompetenz rückt in den Hintergrund, denn ohne interpersonelle Fähigkeiten lässt sich zwischenmenschlich nicht viel ausrichten. Dass Wissen immer schneller veraltet, Innovationszyklen immer kürzer werden, relativiert die Bedeutung von einmal erworbenen Fachwissen noch weiter. Stattdessen rücken Lernbereitschaft und die Fähigkeit, schnell kognitives Wissen aufzubauen in den Vordergrund. Nun wieder die Gretchenfrage: Kann Künstliche Intelligenz das Recruiting in dieser Hinsicht tatsächlich entlasten? Gute Frage! An dieser Stelle könnte sich die Zukunftsfähigkeit von Robot Recruiting tatsächlich entscheiden.

 

Der Blick in die schwach beleuchtete KI-Glaskugel

Was heißt das nun? Für einfache Besetzungsaufgaben könnte Robot Recruiting tatsächlich hilfreich sein. Also für solche, die sich hinlänglich genau und vollständig beschreiben lassen. Was wird aber passieren, wenn die eine oder andere implizite Annahme nicht in das Anforderungsprofil einfließt? Wird KI in der Lage sein, diese Lücke zu füllen? Aus dieser Frage erwächst ein ganz entscheidender Qualitätsaspekt für KI-gestütztes Recruiting. Der Aufwand, alle zum Schließen dieser Lücke erforderlichen Details in die KI hinein zu programmieren, dürfte schon für weniger komplexe Anforderungen enorm hoch werden. Wenn die Digitalisierung sowieso die wenig komplexen Positionen überflüssig machen wird, lohnt sich dieser Aufwand dann tatsächlich?

 

Praxistest: So schneidet der Recuiting Roboter ab

Manchmal geht Praxis über Grübeln. BrandEins Online hat gerade einen Erfahrungsbericht zum Thema Robot Recruitung veröffentlicht, den ich sehr aufschlussreich finde: Der Computer, der mich einstellte. Viel Spaß beim Lesen!

Und manchmal darf es ruhig etwas mehr Theorie und Wissenschaft sein. Precire ist eine KI-Anwendung, mit der per Sprachanalyse Eignungsdiagnostik im Einstellungsverfahren betrieben werden soll – und in einigen Fällen tatsächlich schon betrieben wird. Klaus P. Stulle hat ein Buch herausgegeben, das diese KI-Anwendung unter wissenschaftlichen Aspekten unter die Lupe nimmt. Schon allein die Buchbesprechung hat es in sich. Ganz zu schweigen von einem Vergleich mit der Werbung von Precire…