Das kann das Arbeitszeugnis leisten
Arbeitszeugnisse haben keinen guten Ruf. Ihre formelhafte Sprache sicher zu entschlüsseln braucht Expertenwissen. Als Zeugnisempfänger fragt man sich oft, was das eigene Zeugnis denn tatsächlich aussagt. Anders als in anderen europäischen Ländern werden Arbeitszeugnisse in Deutschland als fester Bestandteil einer Bewerbung erwartet. Ihr Fehlen macht verdächtig. Hat da jemand etwas zu verschleiern?
Welchen Stellenwert haben Arbeitszeugnisse tatsächlich für den Bewerbungserfolg? Ist es wirklich nötig, den Berufsweg komplett lückenlos zu belegen? Was ist dann mit Phasen der Selbstständigkeit? Zeugnisse klingen alle irgendwie gleich – was sagen sie tatsächlich aus? Viele Fragen ranken sich um das Arbeitszeugnis, die Literatur zum Thema ist unüberschaubar.
Wann wird ein Arbeitszeugnis ausgestellt?
Die reine Lehre besagt, dass mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, genau ab dem Tag der Kündigung, der Arbeitgeber automatisch zur Zeugniserstellung verpflichtet ist. Das kann qualifiziert sein, es reicht aber auch ein Beleg der Arbeitsdauer im Unternehmen. Der Regelfall ist das qualifizierte Arbeitszeugnis. Als Bewerber ein rein quantifiziertes Zeugnis vorzulegen fällt negativ aus dem Rahmen. Deutsche Arbeitgeber erwarten in der Regel im Anhang der Bewerbung eine lückenlose Reihe von Zeugnissen der bisherigen Arbeitgeber und meistens auch die dem Werdegang zugrunde liegenden Ausbildungszeugnisse.
Wie valide sind Arbeitszeugnisse?
Arbeitszeugnisse müssen wohlwollend verfasst sein, so will es der Gesetzgeber. Wohlwollend heißt aber nicht zwingend sehr gut. Ein in vom ersten bis zum letzten Satz in Lobeshymnen verfasstes Arbeitszeugnis mag vor Einsern nur so strotzen, sehr gut ist es nicht. Eine Auflistung von offensichtlichen Textbausteinen ohne jeden individuellen Touch wirkt lieblos und unpersönlich und erzeugen keinen positiven Eindruck. Formulierungen, die auf die Person des ausscheidenden Mitarbeiters und seine besonderen Leistungen eingehen, haben dagegen einen hohen Stellenwert.
Wohlwollende Formulierung bedeutet, dass negative Formulierungen in Zeugnissen nicht zulässig sind. Negative Botschaften verstecken sich in der Regel in Auslassungen. Wenn beispielsweise in der Auflistung von Tätigkeiten eine Kernaufgabe des in der Einleitung genannten Berufsbildes fehlt, ist das ein klares Alarmzeichen. Wer sein Arbeitszeugnis analysieren lassen möchte, wendet sich am besten an einen Arbeitsrechtler. Wenn es schnell gehen muss, hilft das Internet. Sie sind anders als eine juristische Beratung oft kostenlos oder für kleines Geld zu haben, beispielsweise Arbeitszeugnis.io oder Arbeitszeugnisportal. Aber Vorsicht: Arbeitszeugnisse sind sensible Dokumente. Bevor man diese ins Web hochlädt, sollte man sich das Risiko bewusst machen.
Wirke ich illoyal, wenn ich um ein Zwischenzeugnis bitte?
Sicher könnte Chef hinter der Bitte um ein Zwischenzeugnis eine Wechselabsicht vermuten. Aus diesem Grund verzichten viele Arbeitnehmer auf regelmäßige Zwischenzeugnisse. Nichts spricht dagegen, die Bitte um ein Zwischenzeugnis in knapper Form zu begründen. Den eigenen Marktwert zu testen hat nichts Anrüchiges, außerdem motiviert diese Frage Chefs tendenziell zu mehr Aufmerksamkeit dem Mitarbeiter gegenüber.
Zwischenzeugnis: Wann anfordern?
Auch das Ausstellen von Zwischenzeugnissen ist für Arbeitgeber Pflicht, es sei denn, ein Mitarbeiter fordert sie in allzu kurzen Zeitabständen an. Ein anstehender Vorgesetztenwechsel, eine neue Aufgabe, auch ein sehr guter Projektabschluss können ein guter Anlass sein, ein Zwischenzeugnis anzufordern. Regelmäßige Zwischenzeugnisse sind nicht nur wichtig für das Selbstbild in Sachen Karriere, sie schaffen Klarheit über die Einschätzung der eigenen Leistung aus Arbeitgebersicht.
Wer nach mehreren Jahrzehnten aus einem Unternehmen ausscheidet, aber noch viele Jahre bis zur Rente hat, profitiert von regelmäßigen Zwischenzeugnissen. Frühere Zeiträume mit anderen Vorgesetzten oder Aufgaben lassen sich dann nicht mehr bewerten. Trotz langjähriger Firmenzugehörigkeit wird sich das Arbeitszeugnis nur auf den Zeitraum beziehen, den der aktuelle Vorgesetzten beurteilen kann. Weiterentwicklungen sind dann nicht mehr erkennbar, was sich für den weiteren Berufsweg sicher als Handicap herausstellen wird. Denn in Deutschland ist die schriftliche Beurteilung durch Arbeitgeber noch immer das dickste Pfund für die Karriere.
Wenn sich im Laufe der Tätigkeit für einen Arbeitgeber eine Reihe von Zwischenzeugnisse angesammelt hat, sollte man das finale Arbeitszeugnis mit diesen abgleichen. Wird eine gute Beurteilung aus einem langjährigen Zwischenzeugnis nicht in das Abschlusszeugnis übernommen, sollte das Anlass für eine kritische Nachfrage in der Personalabteilung sein.
Ein Zeugnis-Trick
Es gibt Unternehmen, die die formale Lückenlosigkeit des Werdegangs, belegt durch Zeugnisse, tatsächlich fordern. Dieser harte Formalismus ist aber nicht der Grund, warum ich zum sorgfältigen Sammeln von Arbeitszeugnissen rate. Der riesengroße Vorteil von Arbeitszeugnissen ist ein anderer: sie sind die unabhängige Stimme im Bewerbungsprozess. Wer es hinbekommt, sein im Anschreiben oder CV-Deckblatt formuliertes Alleinstellungsmerkmal für die anvisierte Position durch Aussagen seiner Zeugnisse zu untermauern, sammelt jede Menge Vertrauenspunkte. Dieser Trick hilft sogar dann, wenn Auslandserfahrung fehlt, der Lebenslauf Sackgassen enthält und in der Liste der Freizeitbeschäftigungen die Ehrenämter völlig ausfallen.
Lesetipp: Knobbe/Leis/Umnuß: Arbeitszeugnis für Führungskräfte, erscheinen bei Haufe, ISBN 978-3-448-10119-5. Ein hochwertiger Ratgeber auch für Nicht-Führungskräfte mit vielen Tipps einschließlich Rechtsfragen.
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